Einsichten vom 7. Berliner Coachingtag - Teil 2
Würden Sie sich von einer Person aus Ihrem Umfeld alle 18 Minuten bei einer wichtigen Tätigkeit unterbrechen lassen? Vermutlich nicht. Wenn Sie zu der Mehrheit der Smartphone-Nutzer in diesem Land zählen, dann tun Sie jedoch genau das – und zwar mit sich selbst. In einer Studie von 2009 erforschte Alexander Markowetz, Autor des Buches „Digitaler Burnout“ und Professor für Medienwissenschaften, die Nutzungsgewohnheiten von Smartphones in der allgemeinen Bevölkerung. Alle 18 Minuten unfterbrechen wir demnach unsere Aktivitäten, um „eben mal schnell....,“ eine sms oder whats-app zu senden, Facebook oder Instagram zu checken, Emails und News abzurufen oder ein Spiel zu spielen. Alexander Markowetz überbrachte den 100 Teilnehmenden des 7. Berliner Coachingtages viele schlechte Nachrichten – und kompensierte dies mit seinem amüsanten Vortragsstil. Dass wir Deutschen mit 2,5 Nutzungsstunden am Tag längst Poweruser von Smartphones sind, sei nicht das Problem. Kritisch, sagt Markowetz, ist die permanente Unterbrechung aller anderen Handlungen durch den Internetzugriff. Mit 88 Klicks und 53 Touches auf dem kleinen Bildschirm verhält sich der Durchschnitts-Nutzer ganz so, wie die Ratte in einem Experiment zur Motivationsforschung.
In zwei Käfigen teilte man dazu zwei Ratten Futter zu. Die Ratten konnten die Zuteilung per Tastendruck auslösen. Der einen teilte man ganz regelmäßig und immer die gleiche Portion zu, wenn sie auf die Taste drückte. Die andere hingegen bekam mal viel, mal gar kein Futter, mal etwas besonders leckeres, dann wieder dröges Futter. Diese Ratte verbrachte den gesamten Tag an der Taste, immer auf der Suche nach dem nächsten „Kick“. „Was kommt jetzt?“ fragt sich das Gehirn – nicht nur der Ratte – bei jedem Klick und aktiviert sein Dopamin-System. Dieser Neurotransmitter ist für unser Empfinden einer zukünftigen Belohnung zuständig. Evolutionär gesehen war und ist dieses System sehr wichtig. Hilft es uns Menschen doch, in Aussicht auf eine bessere Zukunft in der Gegenwart einiges in Kauf zu nehmen und auch anstrengende Tätigkeiten durchzuhalten. Nur noch ein Klick mehr, dann....
„Was kommt jetzt?“ „Wo gibt es Besseres, wo gibt es Mehr?“ Unser Gehirn ist evolutionär immer noch auf die Gefahr eines drohenden, existentiellen Mangels eingestellt. Mangel an Nahrung, Mangel an wichtigen Informationen. Das Gehirn belohnt deshalb immer noch, wenn wir den Kick des Neuen suchen, um das Überleben zu sichern. Smartphones und alle dazugehörigen Apps tricksen uns Nutzer an genau dieser Stelle aus. Sie spielen „Rattenexperiment“ mit unseren Gehirnen. Wir verhalten uns wie Steinzeitmenschen in einer kargen Savanne, leben aber im 21. Jahrhundert, dem Zeitalter des Überflusses an Nahrung und Information.
Die Folgen unserer permanenten Zerstreuung sind vielfältig. Wir alle kennen sie teilweise bei uns selbst oder unserem Umfeld: Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen, weniger Zeit und weniger Qualität in sozialen Kontakten.
Es gehe, so Alexander Markowetz in seinem Fazit, natürlich nicht um die Verteufelung der digitalen Medien. Genauso wenig, wie der naive Glaube an die digitalen Produkte richtig sei. Wie bei jedem anderen technologischen Wandel in den letzten Jahrhunderten geht es um den „dritten Weg“. Ein vernünftiger Umgang mit der neuen Technologie. Ein Umgang, der die Risiken für Mensch und Umwelt eingrenzt. Auf der Suche nach diesem Dritten Weg stehen wir heute.
„Achtsamkeit“ und Meditation sind daher nicht nur ein Trend, sondern notwendige Kulturtechniken. Programme mit Achtsamkeitsübungen zeigen bereits nach 8 Wochen messbar positive Veränderungen: in der fokussierten Aufmerksamkeit, der emotionalen Balance, der mentalen Stärke sowie abnehmendem Schmerzempfinden.
Berater finden in der Herausforderung des Digitalen Wandels ein weites Feld, um Klienten zu unterstützen und selbst weiter zu lernen. In unserem Coaching zur Gesundheitsprävention spielt der Umgang mit dem Informationsüberfluss eine immer wichtigere Rolle. Der dritte Weg bleibt für uns alle - Berater und Klienten - eine Herausforderung, ein „change“.
Im Teil 1 zum Digitalen Wandel in der Beratung, war unser Fazit: „Mehr ist Mehr“ – Mehr Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien = Mehr Flow in der Beratung. Für den digitalen Overkill gilt: Weniger ist Mehr. Nur digitales Detox macht uns ruhiger, fokussierter und klüger. Ressourcen dazu finden Sie aufgelistet.
Letzlich geht es „um das rechte Maß“. Und ging es darum nicht auch schon vor 2500 Jahren, zu Zeiten des Sokrates? Manche Themen sind eben echte Dauerbrenner.
Die Sommerzeit wäre doch ein idealer Zeitpunkt für digitalen Detox. Und damit verabschieden auch wir uns in die Sommerpause! Haben Sie eine gute Zeit.
Ursula Wagner, Guido Fiolka, Anja Fischer und das development:hub Team
Fiolka says
Ich genieße es gerade, im Urlaub in der Sonne zu sitzen, die Füsse im Gras zu haben und trotzdem on-line sein zu können. Mit meinem Tablet. Zu Zeiten wo ich es will und mit dem Content, den ich mir aussuche. Es ist ein Genuss und ein Comfort ohne gleichen.